Verletzte Amsel gefunden, was nun?

04.05.2023
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Man sitzt gemütlich im Esszimmer an der Kaffeetafel, und nach einem lauten Knall hockt eine benommene junge Amsel vor der Terrassenscheibe. Was nun? Zunächst sollte man abwarten und dem Tier etwas Zeit geben, denn manchmal erholt es sich von alleine. Aber eben nur manchmal….

Als Tierschutzverein erhalten wir häufig Hilferufe, die genau solch einen Fall schildern. Uns fehlen aber sowohl die Räumlichkeiten als auch die Betriebserlaubnis, verletzte Wildtiere in unserem Tierheim aufzunehmen. Für die Pflege von Wildtieren sind spezielles Fachwissen und Erfahrung nötig. Für jagdbares Wild, wie z.B. Reh und Fuchs, das verletzt aufgefunden wurde, ist der entsprechende Jagdausübungsberechtigte verantwortlich. Aber was ist mit den anderen Wildtieren wie Amsel und Co., die krank oder verletzt von Spaziergängern gefunden werden? Wir als Tierschutzverein können neben einigen wenigen privaten Pflegestellen für Singvögel, Igel oder Eichhörnchen nur auf die Aufnahmestation des Landes NRW verweisen, die aber in der Regel nur besonders geschützte Tierarten aufnimmt. Amsel, Spatz und Co. gehören definitiv nicht dazu.

Im Tierschutzgesetz heißt es, dass niemand einem Tier unnötig Schmerz und Leid zufügen darf. Ist es dann ethisch vertretbar, einfach wegzugucken, wenn ein verletztes Wildtier sichtlich leidend vor einem liegt? Der Tierfreund, der den Anblick eines verletzten, leidenden Tieres nur schwer ertragen kann, wird sich vielleicht an einen niedergelassenen Tierarzt oder eine Tierklinik wenden. Einige Tierärzte erklären sich bereit, Wildtiere auf eigene Kosten zu behandeln oder gegebenenfalls von ihren Leiden zu erlösen. Aber nicht alle Tierärzte fühlen sich dazu verpflichtet, und im Zweifelsfall kommen gerade an Wochenenden empfindliche Kosten als „Auftragsgeber“ auf Sie zu. Daher sollten Sie sich unbedingt vor Behandlung des Tieres erkundigen, ob und in welcher Höhe Behandlungskosten für Sie anfallen. Ein Beispiel: Laut Gebührenordnung (einfacher Satz) kann die Euthanasie, also das Einschläfern einer Amsel am Wochenende mit Zuschlägen 75 € kosten.

Aber wie kann es sein, dass der Gesetzgeber sagt, dass einem verletzten Tier kein unnötiges Leid zugeführt werden darf und der Bürger, der einem leidenden Tier hilft, als „Auftragsgeber“ am Ende auf den Behandlungskosten sitzen bleibt? Man stelle sich vor: Sie finden eine verletzte Person auf der Straße, rufen die Rettung und dürfen zuletzt die Behandlungskosten aus eigener Kasse zahlen. Die Empörung wäre groß.

Im Sinne des Naturschutzes ist die Frage berechtigt, ob eine verletzte Amsel, die einer hungrigen Krähe als Nahrung dient, sich besser in den Kreislauf der Natur einfügt, als nach Euthanasie in der Kühlbox des Tierarztes. Zumal eine gesättigte Krähe so vielleicht das Gelege eines anderen Singvogels verschont...

Das Tierschutzgesetz, das die Amsel als Individuum sieht, welches verletzt nicht leiden soll, und der Naturschutz, der die Amsel als kleinen Baustein eines komplexen Systems betrachtet, in das man sich nicht einmischen sollte, widersprechen sich hier. Es gibt keinen goldenen Weg, aber der Gesetzgeber ist gefragt, hier Klarheit zu schaffen und zumindest eine Regelung zur Erstattung der Behandlungskosten verletzter Wildtiere zu finden.

Foto: von garten-gg über pixabay